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Freiheit und Selbstliebe – die Fundamente unserer Heilung

In diesem Text geht es um Freiheit und Selbstliebe und darum, wie beide zusammenhängen und sich gegenseitig befruchten. Dies zu schreiben ist für mich eine große Herausforderung, denn fühlend geschrieben habe ich in meinem Leben bisher (wahrscheinlich) noch nicht – zumindest nicht so oft. Ich habe schon oft denkend-analytisch geschrieben. Und auch scheinbar emotional berührt bzw. berührbar. Aber wirklich fühlend zu schreiben macht mir Angst. Ich werde es dennoch versuchen. In einer ASD-Gruppensitzung ging es darum, wie man auf dem Weg der zunehmenden Heilung der Auslöschungsangst mehr und mehr mit dem Gefühl der Sinn- und Bedeutungslosigkeit, des Chaos, der Leere, des Nichts konfrontiert wird. Es hieß, um die Auslöschungsangst heilen zu können, müsse man erst eins mit diesem Gefühl werden, um die Panik darin voll zu fühlen – ohne allerdings mit diesem Gefühl zu fusionieren. Eins mit einem Gefühl werden, ohne damit zu fusionieren: Wie soll das gehen? Dass dies mit einer bewussten Wahl und mit der Würdigung unserer individuellen Freiheit zusammenhängt, war ein Gedanke, dem ich weiter nachgegangen bin und zu dem ich hier schreiben möchte. Wenn wir noch ganz klein sind, als Babys und kleine Kinder, da entscheiden wir uns nicht dafür oder dagegen, eins mit unseren Emotionen zu werden. Wir sind es einfach die ganze Zeit, was zum Teil, vor allem wenn es um unsere Urseelenängste geht, der blanke Horror sein kann. In diesem Horror droht nämlich der totale Untergang und da brauchen wir jemanden, der für uns da ist, der uns in diesem Horror fühlt und der so geheilt ist, dass er uns fühlend einen Rahmen, einen Kontext geben kann: Weil er weiß, was wir fühlen wenn wir es fühlen und warum wir es fühlen. Das hätten uns unsere Eltern geben müssen – haben sie aber nicht. Vor diesem Hintergrund erscheint es wie ein Wunder, dass die meisten von uns nicht komplett durchgeknallt und in ihrem Horror ertrunken sind. Dass die meisten von uns allerdings fette Knoten und Mauern aufgebaut haben, um niemals mehr in direkten Kontakt mit diesen rohen Emotionen zu kommen, ist angesichts dieses Traumas, dass wir wohl alle als Babys und kleine Kinder erlebt haben, sehr verständlich. Denn ohne Kontext kann man mit diesen rohen Emotionen nur fusionieren, und das ist mit Blick auf unsere Urseelenängste existenziell bedrohlich. Seither sind wir also nicht mehr eins mit unseren Emotionen, wir haben sie weggeknotet und leben abgespalten von ihnen – motiviert durch den Entschluss, die existenzielle Bedrohlichkeit der kontextlosen Fusionierung mit ihnen nicht mehr zu erleben. Ein Therapeut kann uns, wenn wir uns auf den Weg der Heilung unserer seelischen Verwundungen und Ängste begeben, dabei helfen, diese bedrohliche Fusionierung zu vermeiden. Allerdings tun das klassische Therapeuten, indem sie sich neben unsere Emotionen setzen, sie analytisch aus einer Metaperspektive betrachten, sie erklären und zerdenken – und uns darin „kompetenter“ machen, ebenso zu handeln. Das sorgt vielleicht für scheinbare emotionale Ruhe, nimmt manchmal den inneren Druck raus und macht uns bestenfalls funktionstüchtiger – heilen tut es uns nicht. Eins zu werden mit den eigenen Emotionen heißt also weder, völlig kontextlos mit ihnen zu fusionieren und hoffnungs- und haltlos in ihnen zu ertrinken, noch heißt es, Emotionen scheinbar zuzulassen und sich dann betrachtend daneben zu setzen und sich beim Fühlen zuzuschauen: „Aha, jetzt habe ich also Panik, weil ich fürchte, ausgelöscht zu werden. So, so, interessant …“. Der Grad dazwischen, nämlich fühlend eins mit den eigenen Emotionen zu werden und dabei fühlend für sich dazu sein, erscheint schmal. Mit Iona haben wir im Rahmen von Heart Dialogue erlebt, was es heißt, beim Fühlen nicht allein zu sein bzw. allein gelassen zu werden. Dadurch konnten wir Schönes fühlen und merken, wie es bei jemand anderem im Herzen landen und dadurch noch schöner werden kann. Wir konnten Beängstigendes fühlen und merken, dass wir darin nicht allein sind und dass es uns nicht zerstört. Wir konnten sogar merken, dass es den Dualismus zwischen Schönem und Beängstigendem eigentlich gar nicht gibt, dass Emotionen wertfrei sind, was sie sind und dass sie alle im Grunde auf Liebe basieren. Dadurch konnten wir uns besser kennen und lieben lernen, in all unseren Facetten, und dadurch wurde das Gefäß unserer Seele immer weiter und gleichzeitig haltender für uns. In dem Maße, in dem unsere Selbstliebe wuchs, wuchs auch unsere Fähigkeit, fühlend für uns selber da zu sein – wir schauen uns mit fortschreitendem Prozess immer weniger analytisch beim Fühlen zu, wir drohen aber auch immer seltener, haltlos in unseren Emotionen zu ersaufen. Das heißt nicht, dass wir uns ab einem gewissen Punkt selber heilen können. Heilung bedeutet immer noch, im Herzen eines anderen mit dem landen zu können, was man fühlt – zumindest verstehe ich sie so. Aber es heißt, dass wir immer mehr dazu in der Lage sind, uns auf dem Heilungsweg selber ein fühlender Kotext zu sein – und das ist der Link zu unserer Freiheit. Wir wissen immer mehr, warum wir fühlen was wir fühlen wenn wir es fühlen und können uns dadurch viel bewusster, viel (selbst-)liebevoller, viel freier dafür entscheiden, zu fühlen was wir fühlen. Je weiter wir auf unserem Heilungsweg vorangeschritten sind und je mehr unsere Selbstliebe wachsen konnte, umso mehr ergeben wir mit dem, was wir fühlen, für uns selber Sinn. Unser gewachsenes Einfühlungsvermögen in uns, äußert sich zunehmend in unserem gewachsenen Verständnis für uns: Wir sind mehr und mehr in der Lage dazu zu erkennen, im Kontext welcher Urseelenangst wir welchen Horror, welche Leere, welche Bedeutungslosigkeit etc. fühlen und werden – paradoxerweise –, je mehr wir uns fühlend in das reale Chaos unserer seelischen Verwundungen begeben, immer weniger chaotisch für uns selbst. Immer klarer wird dann, dass wir uns beim Fühlen nicht im Stich lassen werden, dass wir unsere Emotionen weder metanalysieren, noch fusioniert darin untergehen werden. In dem Maße also, in dem unsere Selbstliebe wächst, wächst auch unsere Freiheit, uns bewusst für unsere Heilung zu entscheiden – mit allem, was der Weg der Heilung mit sich bringt. In diesem Zusammenhang ist mir auch klarer geworden, warum es so wichtig ist, zum einen bei der Heilung der Individualitätsangst behutsam Schritt für Schritt vorzugehen, und zum anderen auf dem Weg der Heilung der Individualitätsangst ein gutes Stück vorangeschritten zu sein, bevor man sich der Heilung der Auslöschungs-, der Hingabe- und der auragetischen Angst zuwendet: Die Selbstliebe muss Zeit haben zu wachsen, bevor wir uns frei dafür entscheiden können, den blanksten Horror (nochmals) zu fühlen. Vorschnell Schutzmauern einreißen, das Heiligste an die Oberfläche zerren, oder sich vorschnell in die Heilung der Auslöschungs-, der Hingabe- oder der auragetischen Angst stürzen, kann nur schlimmstenfalls zur existenziellen Fusionierung oder bestenfalls zur kopflastigen Metanalyse führen – heilen tun wir dadurch nichts. Dies gilt insbesondere für Menschen, die auf dem Erwachens-, dem Hingabe- oder dem auragetischen Pfad spirituell erleuchten, ohne ihren tiefsten Horror dabei jemals wirklich gefühlt zu haben und dabei gefühlt worden zu sein. Sie haben das schrittweise und oft sehr schmerzhafte Anwachsen ihrer Selbstliebe übersprungen und sich stattdessen aus tiefer seelischer Not dafür entschieden, die Erleuchtung ohne Heilung der Erleuchtung durch Heilung vorzuziehen. Dies ist kein Ausdruck (selbst-) liebevoller Freiheit, sondern ist die durch innere Not erzwungene Wahl des scheinbar kleineren Übels: Lieber schnell erleuchten, als schmerzhaft (aber heilsam) zu fühlen. Am Anfang steht unsere Freiheit: Uns auf den Weg der Heilung zu begeben, können nur wir selbst aus freien Stücken. Gegen unseren Willen sind wir nicht heilbar. Haben wir uns auf den Weg der Heilung begeben und werden wir auf ihm in dem, was wir fühlen, gefühlt und gehalten, wächst unsere Selbstliebe. Ist unsere Selbstliebe behutsam so angewachsen, dass wir uns selbst in einem ausreichenden Maße fühlenden Halt zu geben im Stande sind, können wir uns bewusst und frei dafür entscheiden, den Weg der Heilung weiter zu beschreiten. Wir können dann die bewusste und freie Wahl treffen, Emotionen zu fühlen, die uns einst in unserer Existenz bedroht haben – und das, ohne mit ihnen fusionieren zu müssen. Indem wir eine solche Wahl treffen, würdigen wir unsere Freiheit: Die Freiheit, die uns Schöpfer gab, uns selbst zu erkunden und uns für unsere Heilung zu entscheiden. Und wir würdigen damit unsere Selbstliebe: Die Liebe zu dem, was wir bereits in uns entdeckt haben und was wir noch in uns entdecken können. Wenn sich unsere Freiheit und unsere Selbstliebe in diesem Maße gegenseitig befruchten, dann ist unsere Heilung möglich. geschrieben von Manuel im Oktober 2017

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