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Über das Lieben, das Wollen und die heilige männliche Essenz

Ich war einst ein chronischer Wunsch-von-den-Augen-Ableser. Die längste Zeit meines Erwachsenenlebens hielt ich das für eine besonders gute Eigenschaft an mir. Besonders Frauen gegenüber. Ich bediente mich meiner Fähigkeit, Menschen (Frauen) leicht und akkurat lesen zu können. Gut zuhören und erfassen zu können, worum es meinem Gegenüber (meiner damaligen Frau) geht. Vorab zu erahnen, was sie sich wünscht, um es ihr dann zu erfüllen. Um ihr Wunscherfüller zu sein. Es fiel mir nicht ganz leicht, mir einzugestehen, dass damit ein gewisses strategisches Selbstbild einherging. Das eines „guten Mannes“, eines Gentleman allemal und ja: auch das eines guten Liebhabers. Daran allein ist ja erstmal nichts Problematisches, so dachte ich mir, bis mir klar wurde, dass ich mich dahinter ganz hübsch verstecke.


Damit bin ich nun, in meiner aktuellen Liebesbeziehung, aufgeflogen. Glücklicherweise, auch wenn es nicht ganz angenehm war. Ein paar Stunden lang war ich regelrecht beleidigt, als meine Geliebte mich fragte, ob es sein könne, dass meine überaus zuvorkommende und einfühlsame, verführerische Art nicht auf einer Strategie beruhe. Ob da nicht eine männliche Essenz im Dienste einer Kontrollstrategie benutzt würde. Ob es nicht möglich sei, dass ich sie, ihre Liebe und ihr Begehren für mich dadurch zu kontrollieren versuche. Sie dahin zu manipulieren versuche, mich unwiderstehlich zu finden. Einmalig, unersetzlich, ihr wahrgewordener Traum. Ob es nicht sein könne, dass ich mich hinter dem Traummann-Selbstbild davor verstecke, meine eigenen Wünsche verletzlich zu fühlen, zu zeigen und zu bewohnen. Ob ich dadurch nicht vermeide, mit meinen Wünschen und Bedürfnissen vielleicht von ihr abgelehnt oder zurückgewiesen zu werden. Es fühlte sich an, als würde sie mir direkt auf den Schlips treten. Mein innerer „Traummann“ hatte ziemlich daran zu kauen, zu würgen und zu schlucken. Zunächst war ich versucht, das einfach gerade heraus abzustreiten, denn, so argumentierte ich wahrheitsgemäß, ich habe durchaus immer (auch in meiner früheren Beziehung) getan, was ich wollte, mir meinen Raum genommen, meine eigenen Ziele und Wünsche verfolgt. Ja sicher, erwiderte meine Geliebte hellwach, aber doch lediglich in den Lebensbereichen von Beruf, Freundschaften und Freizeit, nicht wahr, nicht direkt in der Liebesbeziehung selber. Dort sind meine Wünsche und Bedürfnisse als Mann eher gar nicht aufgetaucht. Verdammt, das konnte ich nun nicht mehr leugnen.

Als das reinsickerte, ging mir schließlich etwas auf: Diese panische, unkontrollierbare Angst, meine Geliebte zu sehr zu wollen und dann vielleicht doch nicht haben zu können, die ich seit Wochen fühlte, passt großartig in das Gesamtbild ihrer Fragen. Sicher gibt es in mir auch konkrete inhaltliche Wünsche an sie, ja. Sowohl dazu, wie wir unsere gemeinsame Zeit verbringen und grundsätzlich miteinander sind als auch in unserer Intimität. Natürlich habe ich den einen oder anderen Wunsch, den ich noch nicht benannt habe, ja. Aber es gibt etwas Größeres, Übergeordnetes zu allen einzelnen Wünschen: Mein Wollen-als-solches. Wollen in mehrerlei Hinsicht: Ich will mit ihr zusammen sein. Ich will, dass sie meine Frau ist. Meine Partnerin. Meine Geliebte. Ich will ihr Mann sein. Ihr Gesprächspartner. Ihr Weggefährte. Ihr Liebhaber. Ich will Antworten auf ihre Fragen haben; ich will die Antwort auf ihre Wünsche sein. Ich will sie im erotischen Sinne. Ich will sie erfüllen. Ich will sie befriedigen. Ich will, dass sie glücklich mit mir ist. Ich will ihr Leben bereichern. Ich will sie wirklich kennen. Erkennen. Manchmal will ich sie auch besitzen, vereinnahmen, gänzlich haben...


Für mich kommen hier aktuell zwei oder sogar drei Aspekte immer näher zusammen. Mir das Wollen immer tiefer und gleichzeitig verletzlicher zu erlauben, ist das eine. Das Gefühl, eine Frau zu lieben, ist für mich ebenfalls noch sehr frisch. Frisch entdeckt. Frisch in mein Herz zurückerobert. Mir neu erlaubt. Mich neu getraut. Gar in sie verliebt zu sein, von ihr verzaubert zu sein, sie anzuschauen und dabei tief erfüllt und aufgeregt in einem zu sein, ist nicht nur neu, sondern auch markerschütternd. Es ist überwältigend schön und beängstigend. Es ist so nah mit Verlustangst und Verletzungsangst verknüpft, dass ich es manchmal nur schwer ertrage, es in mir zu fühlen und zu halten und mich ihr damit dann auch noch direkt damit zu zeigen. Mir die Frage, was ich als Mann eigentlich genau in meiner Liebesbeziehung und von und mit meiner Partnerin will, ist ziemlich tiefgreifend und zwingt zu umfassender Sichtbarkeit.


Neulich hatte ich im Gespräch mit meiner Geliebten einen Geistesblitz: Wenn das Yang-Schöpferwesen aus Liebe und Wille besteht, wie InDivinality es lehrt, dann sind es doch exakt diese beiden Aspekte, die Männer auf ihrem geschlechtsspezifischen Heilungspfad zusammenzubringen versuchen, oder? Mir ist bewusst, dass jener Wille, von dem im Yang-Schöpfer-Kontext gesprochen wird, in InDivinality eigentlich dem 3. Chakra zugeschrieben wird. Aber für mich persönlich bedeutet er noch etwas anderes: Wenn ich zum Göttlichen Schöpferwesen und Seinem Willen hin spüre, dann ist das nicht primär oder einzig ein Wille der Ich-Kraft, der Selbst-Zentrierung, den ich damit in mir selber als Mensch assoziiere. Sondern es ist auch jenes Wollen-als-solches, das Begehren, das Verlangen, das sich Verzehren, das sich Sehnen, das Entflammtsein. In sich selber und für ein Gegenüber. Jene Empfindungen gehören zum 2. Chakra meines Mannseins. Sie gehören in die erotisch-wollende Begegnung mit meiner Geliebten. Das Göttliche Schöpferwesen besteht aus Liebe und Wollen – ich ebenfalls.


Es fühlt sich mitunter unaushaltbar schön und furchteinflößend an, meine Geliebte zu lieben und zu wollen - gleichzeitig. Als wäre es zu gewaltig, zu groß, zu viel auf einmal. Als müsste ich mich entweder aufteilen oder das eine jetzt und das andere später fühlen: Die Liebe bei einem unserer interessanten Gespräche während eines Spaziergangs oder beim Abendessen, das Wollen beim Tanzen oder eben direkt beim Sex. Wieder und wieder erlebe ich mich in diesem automatisierten Mechanismus, mich nach einer besonderen erotischen Begegnung von ihr zurückzuziehen. Erotisch zurückzuziehen. Ich glaube, ich habe verstanden, was da passiert: Je tiefer ich mich sexuell mit ihr erfüllt und von ihr begehrt fühle, desto tiefer wird meine Liebe für sie. Exakt davor fürchtet sich ein Schutzaspekt von mir tief. Deshalb zieht sich mein 3. Chakra zusammen und trennt meine Liebe (4. Chakra) von meinem Begehren (2. Chakra) ab. So bin ich dann in den Tagen nach so einer besonderen erotischen Begegnung liebevoll, zärtlich und verbunden mit ihr, während ich erotisch nicht mehr wirklich erreichbar bin, weil es eine innere (unbewusste) Wahl hin zur Liebe und weg von der Sexualität gab. Nur was mache ich mit der Verliebtheit, in der diese beiden Komponenten als schiere Intensität zusammenkommen? Mit der ungestümen Begeisterung und Verzauberung? Mit dem „von ihr geflutet sein in allen Poren meines Seins“? Mit den Wellen von Zärtlichkeit, die ich ihr gegenüber empfinde? Wohin damit? Wie damit sein? Es überwältigt mich.


Allmählich dämmert mit, dass exakt das die essenzielle Quelle für meinen Wunscherfüllungs-Trieb sein könnte: Ich möchte die Antwort auf ihre tiefsten weiblichen Sehnsüchte und Wünsche sein. Ich möchte ihr wahrgewordener Traum sein. Ich möchte die Erfüllung sein für sie. Ich möchte sie nicht nur erfüllen, ich möchte ihre Erfüllung sein. Ich möchte als Schöpfer mit ihr sein. Das fühlt sich wie männliche Essenz für mich an. Im liebenden, wie im erotischen Sinne. Es fühlt sich schlichtweg vernichtend an, es so sehr von ihr zu brauchen, dass sie es von mir nimmt. Ich kann sie nur erfüllen, wenn sie danach begehrt. Sonst ist es keine Erfüllung, sondern eine Vergewaltigung, oder nicht? Eine Zwangsbeglückung! Eine Wunscherfüllungsüberschüttung. Welche ich benutze, um sie zu manipulieren. Eine kontrollierende Strategie, um sie bei mir zu halten. Eine strategische Verführung. Ich kann sie nur wahrlich erfüllen, wenn sie es reinlässt und annimmt. Wenn sie meine Liebe, mein Begehren, meine Verliebtheit und meinen Respekt erwidert. Wenn sie mir darauf antwortet. Wenn sie es anzieht, was ich aus mir heraus geben möchte. Das ist die verletzliche Essenz meines strategischen Wunscherfüllens. Ich habe es lange Zeit aus sicherer Distanz als „Traummann“ zu Kontroll- und Manipulationszwecken eingesetzt, meiner Partnerin Wünsche zu erfüllen, um meinen tiefsten Wunsch danach, ihre Erfüllung sein zu wollen, nicht fühlen zu müssen. Erst recht nicht die Verletzlichkeit, als Mann darauf angewiesen zu sein, dass sie es von mir nimmt, reinlässt und danach begehrt.



Anonym, November 2017

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