Seit ich meinen Weg als erwachsene Frau beschreite und für mich und mein Leben selbst verantwortlich bin, fühlte ich eine gähnende Leere in Bezug auf das, was ich beruflich machen und womit ich meinen Lebensunterhalt verdienen wollte. Im Verlauf meines HD-Prozesses fiel mir auf, dass ich keine Passion hatte, etwas was ich leidenschaftlich gerne machte und woraus ich einen Beruf machen wollte, um damit in Freude und Fülle meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Ich stellte mir die Frage, was denn meine Passion sein könnte.
Da das Weltbild von HD immer tiefer in mir räsonierte, je tiefer ich es und mich kennenlernte, fühlte es sich natürlich an, dass ich in meiner Ausbildung zur Facilitatorin meine Passion finden würde. Als ich dann nach vielen intensiven Jahren des Lernens vor einigen Monaten tollkühn meinen Job aufgab, um mich ganz dem Weg zum Facilitator-werden zu widmen, passiert etwas für mich Unerwartetes. Ich flog gefühlt alle paar Wochen mit meinen Vorhaben auf die Fresse. Zuerst bestand ich eine wichtige Prüfung nicht, dann stellte sich heraus, dass ich bei weitem nicht die wichtigsten Themen in mir prozessiert hatte, um selbstständig und selbstverantwortlich Facilitanten zu begleiten. Ich machte Dinge „falsch“ und war Kritik ausgesetzt. Ich begann mit mir und meiner Passion zu hadern, und fragte mich, ob ich wirklich bereit war, sowohl auf all meine SeelenTalente als auf meine noch ungeheilten Strategien ein Licht zu scheinen, um meine Passion wirklich leben zu können und mich damit voll sichtbar und berührbar zu machen – und dann alles was in mir und im außen damit passiert in Demut zu fühlen. Je mehr die Dinge nicht „klappten“, desto mehr konnte ich fühlen, mit wieviel Arroganz und falschem Stolz ich immer noch meinte, meine „angestrebte“ Passion ausüben zu können. Eine Stimme in mir sagte, „nur nach meinen Regeln und immer auf der sicheren Seite“.
Mir wurde bewusst, dass ich das Pferd die ganze Zeit von der falschen Seite aufgezäumt hatte – ich hatte erwartet, dass wenn ich mein ganzes Herzblut sowie meine ganze Energie, Zeit, und Geld in etwas stecke und dann penibel darauf achte, dass ich alles dabei „richtig“ mache, genauso wie ich glaube, dass es von mir verlangt wird, dass daraus auf jeden Fall meine Passion entspringt. Was ich komplett missverstanden habe ist, dass man sich nicht zu seiner Passion hin performen kann. Mit Performance meine ich in meinem Fall, dass ich versuche ein Paradigma und Wertesystem auswendig zu lernen, darin alles richtig zu machen, mir möglichst viel Lob einzuhandeln und auf der Basis dessen versuche etwas zu verkörpern, was ich aber in meiner Tiefe eventuell gar nicht bin – und dabei mich vom Herzen weder verletzlich zeige noch hingebe. Mich der Möglichkeit des Scheiterns hinzugeben, mich der Unsicherheit lebendiger, sich wahrlich in jeden Moment wandelnder Beziehungen hinzugeben, mich der Verletzlichkeit und Sichtbarkeit meiner rohsten HerzensWünschen hinzugeben, all das wagte ich nicht. Mit Hingabe meine ich, dass ich das Resultat von dem was ich fühle, denke oder mache nicht von irgendetwas außerhalb von mir abhängig mache, sondern einzig und alleine davon, wie dringend ich es will und ob ich bereit bin alles auf eine Karte zu setzen, ohne die Hoffnung, dass mich dann jemand rettet falls es schiefgeht, nicht mal Schöpfer. Mir einzugestehen, dass ich dazu noch nicht bereit war, hat mich ziemlich viel falschen Stolz gekostet.
Es fühlte sich im Zuge dessen so an, als hätte mein ganzes ErwachsenenLeben aus einer Performance bestanden, in der ich mich immer nur an dem orientiert habe, was von mir verlangt wurde, um dann damit möglichst wenig aufzufallen, wenig kritisiert zu werden, möglichst viel Lob zu bekommen und dadurch immer die Beste und damit scheinbar etwas Besonderes und Besseres zu sein.
Etwas Besonderes zu sein ist vermutlich der Wunsch und, so bin ich vom Herzen überzeugt, das Geburtsrecht jedes Menschen. Von deinen Eltern als ein einzigartiges, einmaliges, kostbares, nicht zu ersetzendes Wunder und Geschenk angesehen und gefühlt zu werden, ist das, wonach jedes zarte Herz sich seht, wenn es voller unschuldiger Liebe auf die Welt kommt. Ich habe das von meinen Eltern nicht erfahren und aus dem daraus entstandenen Gefühl von Wertlosigkeit und Ersetzbarkeit habe ich versucht, mir fleißig Liebe zu erarbeiten. Zuerst wollte ich die Beste in der Schule sein, weil ich fühle, dass meinem Vater Leistung gefällt. Dann wollte ich das hübscheste Mädchen sein, weil ich fühlte, dass meinem Vater Verführerinnen gefallen. Dann wollte ich die emotional „Aufgeräumteste“ sein (sprich meine Emotionen unter Kontrolle haben), weil ich fühlte, dass mein Vater Gefühlschaos verabscheut. Somit tötete ich mit jedem Lebensjahr ein wenig mehr in mir ab, um meinen Eltern, und ganz speziell als Mädchen meinem Vater, zu gefallen. Er war so unerreichbar, und ich dachte, mit Disziplin und Anstrengung würde vielleicht noch etwas Besonderes aus mir werden, und dann wäre er stolz auf mich.
Aus dieser tieftraurigen Sehnsucht nach Liebe als Tochter, Mädchen und Frau, wuchs auch irgendwann meine Wut, mein Zorn, meine Vorwürfe und mein Hass auf meinen Vater. Stellvertretend dafür fing ich an, nicht nur ihn, sondern alle Menschen zu verachten, für das was sie mir mit ihrer scheinbaren Nichtbeachtung antaten. ABER – weil mir von klein auf eingebrannt wurde, dass es sich für ein Mädchen nicht gehört zornig, wütend, verachtend, bissig, tollwütig ausrastend zu sein – habe ich all das in mir versteckt. Ich habe es geschluckt, mir einverleibt, es wuchs wie ein Tumor in mir bis es mein Herz und meine Weiblichkeit, meine Sinnlichkeit, meine Wildheit und meine Freiheit erstickten.
Daraus entstanden in mir die SchattenArchetypen Graue Maus, Sklavin und Verführerin/Unschuldsengelchen. Aus diesen SchattenArchetypen heraus wollte ich auf keinen Fall unangenehm auffallen und auf jeden Fall gefallen, egal was von mir verlangt wurde, während ich manipulativ meinen verborgenen Hass und meine Vorwürfe auslebte, indem ich mich mir selbst und anderen Menschen verweigerte, als Mensch, als Frau, als Mutter, als Freundin und als Kollegin.
Obwohl mir bewusst war, dass ich keine Verantwortung für mich und mein Leben übernehmen wollte, weil ich so zornig darüber war, dass meine Eltern dies nicht für mich getan haben, obwohl mir bewusst war, dass niemand außer ich diesen Missstand mehr ändern könnte, so musste ich mit meinem Hass, meiner Wut und meiner Verachtung erst emotional sichtbar und gefühlt werden, bevor ich anfangen konnte, mich daraus zu befreien.
Damit sichtbar zu werden nimmt für mich viele Formen an, und mit jedem Schritt aus meinem selbsterbauten Gefängnis bin ich stolzer auf mich selbst, dass ich den Mut habe, mein Leben ganz für mich alleine zu bestreiten. Nicht das zu machen, von dem ich denke, dass es meinen Vater stolz machen würde, um es dann aber manipulativ und halbherzig und mit vielen versteckten Vorwürfen zu machen. Nein, indem ich in Neugierde und Aufregung mich auf das Abenteuer meines Lebens einlasse, wie auch immer das dann aussehen wird. Indem ich mich in allem was mich ausmacht, von meinen tiefsten, schönsten, heiligsten SeelenWinkeln bis zu meinen dunkelsten, verborgensten, auf Sicherheit und Starre beharrenden SchutzKnoten, fühle und sehe, und mich damit wirklich mag, in aller unperfekten Perfektion :)
Als ich vor einigen Wochen mit wachen HerzAugen eine belebte Straße entlanglief und mit meinem tiefen Hass, meiner Verachtung und meinem Wunsch damit gesehen zu werden sichtbar war, fühlte ich wie viele Menschen, vor allem Frauen, aus Angst auf den Boden schauten, sich abkapselten, der Welt ihren eigenen Zorn und Verachtung und den verletzlichen Wunsch nach Liebe und Beziehung darunter, zu sich selbst und zu anderen, nicht mehr bringen. Ich wünsche mir sehr, dass Mädchen und Jungs, wenn sie sich aufmachen, alleine in die Welt zu gehen, um ihr Leben in Selbstverantwortung zu betanzen, nicht mehr ihre Sehnsucht nach Liebe, ihre Wut auf ihre Eltern, ihre Verachtung der Welt gegenüber runterschlucken oder übertrieben zum Ausdruck bringen müssen, um darin gefühlt zu werden, wie sehr sie sich wünschen als das besondere Wesen, das sie sind, geliebt und gesehen zu werden.
Claudia (Luca) Holler, Januar 2018
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