Ein paar Meter von mir entfernt sitzt eine Amsel auf einem Zweig im Baum, etwa auf meiner Augenhöhe, und singt ihr Abendlied
Sie sieht mich, beäugt mich und singt weiter
Ihr ganzer kleiner, schwarzer Körper wird zu ihrem Gesang
Sie gibt alles, was sie ist und hat, in ihr Lied
Ihre AmselStimme durchdringt das BlattWerk und den Wald und mein Sein
Sie sing ihr Lied mutig und inbrünstig,
unschuldig und verwegen,
kühn und verletzlich;
sie singt es als gäbe es nur sie und ihr Lied.
Sie schenkt sich dem Sein
Sie schenkt sich dem Abend
Sie schenkt sich dem Wald
Sie schenkt sich mir
Ihr ganzes VogelSeeleSein strömt kraftvoll und beherzt in dieses Lied
als gäbe es nur diese eine Chance; diesen einen Abend, dieses eine Lied.
Vermutlich wird sie es morgen Abend wieder singen
Vermutlich hat sie es gestern gesungen
Doch sie singt es so, als gäbe es nur JETZT
und sie durchströmt dieses Jetzt vollständig mit ihrem Sein
ich stehe still und weinend, berührt und erfreut, beeindruckt und ehrfürchtig, andächtig und liebend vor ihr
und schenke ihr mein Lauschen.
ich werde ganz zum Lauschen.
ich gebe mein ganzes MenschenSeeleSein in das Zuhören;
in das mich ihr und ihrem Song hingeben.
ich lasse sie alles in mir berühren und mich durchströmen.
ich lasse mich von ihr nähren, beschenken und inspirieren.
ich lausche ihrem Lied in diesem Jetzt in seiner Einmaligkeit,
gleichsam tieftraurig, dass der Moment sterben und nie wiederkehren wird
und tief beglückt, dass ich ihn mit diesem AmselWesen teilen, erfahren und fühlen durfte.
Das AmselWesen würde ihr Lied genauso singen, wenn ich ihr nicht zuhören würde: Sie würde es sich selber und dem Sein ebenso selbstvergessen und inbrünstig schenken. Es geht ihr nicht um Applaus, Anerkennung, Lob oder Bestätigung.
Sie braucht mein Zuhören nicht für ihren AmselSelbstwert.
Doch in meinem Herzen als selbstreflektierendes SeelenWesen steigt der Wunsch auf,
sie mit meinem Lauschen zurück-zu-beschenken.
Ihr Lied durch meine Berührtheit und Freude mit meiner ganz einzigartigen Bedeutung zu beschenken;
so tanzen wir in einem SchenkKreislauf; im liebenden Geben-und-Nehmen von Einzigartigkeit. ich bin für sie Schöpfers Ohr und sie ist für mich Schöpfers Stimme.
Es ist ein himmlisch intimer Moment. Es gibt nur sie und mich.
In diesem Jetzt.
Es gibt keine Grenzen zwischen ihr und mir; wir werden eins.
ich werde durch mein Lauschen und mich-ihr-hingeben ihr Gesang.
ich bin ihr Lied und sie ist mein Lauschen.
Iona von der Werth, April 2020
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